Vor der Wiedervereinigung

1975 wurde erstmals in der BRD bekannt, dass es in der DDR Zwangsadoptionen gab. Darüber berichtete die Zeitung „Der Spiegel“ und prägte damit den Begriff „Zwangsadoption“. Juristisch gesehen ist diese Bezeichnung nicht korrekt, denn handelt sich hierbei um politisch motivierte Kindeswegnahmen, um missliebige Eltern zu bestrafen. Der Aufschrei im Westen war groß, doch die Aufarbeitung war halbherzig.

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrecht (IGFM) konnte jedoch 1976 einige Fälle nachweisen und veröffentlichte diese in der Broschüre „Zwangsadoptionen in der DDR“ (1977).

Mehr dazu finden Sie beim Bundesarchiv unter dem folgenden Link: „Adoptionen und Vormundschaften von Kindern ausgereister Bürger“ (1977)

Clearingstelle von 1991 bis 1993

 

Berlin 1991 – Im Keller des Rathauses von Berlin Mitte werden werden bei Renovierungsarbeiten in Zeitungspapier eingewickelte Akten gefunden, die auf mögliche Zwangsadoptionen verwiesen. Daraufhin wurde eine Clearingstelle in der Adoptionsstelle der Senatsverwaltung von Berlin angesiedelt. Sie bestand von 1991 bis 1993.

⇒ Abschlussbericht der Clearingselle

An diese Stelle konnten sich ehemalige DDR-Bürger hinwenden, die den Verdacht hatten, dass sie selbst von einer politisch motivierten Kindeswegnahme betroffen waren. Die gesetzlichen Anfechtungsfristen von erfolgten DDR-Adoptionen waren im Adoptionsfristengesetz und im Einigungsvertrag verankert und galt bis Oktober 1993.

Die Clearingsstelle betrachte als „zwangsadoptiert“ jene Kinder, die ihren Eltern wegen sogenannter politischer Delikte wie beispielsweise „Republikflucht“ (§ 213 StGB/DDR), „Staatsfeindliche Hetze“ (§ 106 StGB/DDR) oder „Boykotthetze“ gem. Art. 6 Abs. 2 der Verfassung der DDR vom 7.10.1949 (GBl. I S. 5) weggenommen wurden, ohne dass in der Vergangenheit ein gegen das Wohl des Kindes gerichtetes Versagen der Eltern nachweisbar war.

Im Sinen der Definition „Zwangsadoptionen“kam es nach dem Abschlussbericht der Clearingstelle in sechs Fällen in den Jahren 1969 bis 1976 sowie in einem weiteren Fall im Jahr 1988.

 

Diese Zahl ist nicht als endgültig zu betrachten.

Komplett unbeachtet blieben bei der Clearingstelle die staatlich motivierten Familientrennungen und  Adoptionen in Folge von Verurteilungen der Eltern nach dem sog. Asozialenparagrafen (§249 des StrGB der DDR – Gefärdung der öffentlichen Ordnung durch Arbeitsverweigerung und oder Arbeitsbummelei)

2007 – Eine Zeitzeugin startet die

öffentliche Aufarbeitung von „DDR-Zwangsadoptionen“

 

Von 1993 bis 2007 passierte wieder nichts um die „politisch motivierte Kindeswegnahmen in der DDR“ politisch, gesellschaftlich und historisch aufzuarbeiten.

 

2007 begann Katrin Behr ihre eigene Geschichte aufzudecken. Während sie in ihrer Adoptionsvermittlungsakte mit durcharbeitete, durchsuchte sie zeitgleich das Internet nach dem Thema „DDR-Zwangsadoptionen“ und fand dazu nur sehr weniger Einträge von Einzelschicksalen. Je mehr sie den Inhalt ihrer eigenen Adoptionsvermittlungsakte verstand, desto mehr erkannte sie, dass es sich um eine politische motivierte Handlungsweise der ehemaligen DDR- Behörden handelte und sie war sich von Anfang sicher, dass sie kein Einzelschicksal war.

Warum dieses große politische  Unrecht bis 2007 nicht aufgearbeitet war, konnte sie als Betroffene nicht nachvollziehen. Sie beschloss daher aktiv zu werden und den betroffenen Kindern und deren Eltern – in der Öffentlichkeit ein Gesicht zu geben.

Umgehend begann sie ihre ehrenamtliche Arbeit und legte damit als Erste den Grundstein zur langfristigen  Aufarbeitung von politisch motivierten Kindeswegnahmen.

  • 11|2007 Eröffnung der Portale „zwangsadoptierte-Kinder.de“ und „Personen-Suche-DDR„(kostenfreie Suchportale für Betroffene)
  • 02|2008 Gründung des Vereins OvZ-DDR e.V.
  • 08|2011 Erscheinen ihrer Autobiographie „Entrissen – Der Tag, als die DDR mir meine Mutter nahm“ (Droemer-Knaur-Verlag)
  • 09|2014 Verleihung der Goldene Henne in der Kategorie: „Stille Helden“
  • 11|2014 Ehrenpreis „25 Jahre Mauerfall, Geschichte erinnern –  Gegenwart gestalten“ in der Kategorie: Personen
  • sehr viel Öffentlichkeitsarbeit (Interviews – TV, Radio und Printmedien; Fachvorträge; Lesungen; Ausstellungen in ehemaligen DDR- Haftanstalten u.v.m.)
  • Unterstützung bei vielen Schülerprojekten
  • Kundgebungen und Demonstrationen
  • Gespräche mit Landes-und Bundespolitikern in der Funktion als Vereinsvorsitzende vom OvZ-DDR e.V., um die Wichtigkeit der Aufarbeitung (Forschung) deutlich zu machen – dies wurde erst nach der Verleihung der Goldene Henne möglich

Ab 2010 – Beratungsstelle „Zwangsadoptionen in der DDR“ in der UOKG e.V.

Im Berliner Verein UOKG e.V. wird zum ersten Mal eine  Beratungsstelle für Betroffene von DDR-„Zwangsadoptionen“ durch den Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur öffentlich gefördert. Die Nachfrage war von Anfang sehr hoch und gut besucht.

 

Die Mitarbeiter der Beratungsstelle erreichen Sie unter folgenden Kontaktdaten:

UOKG – Beratungsstelle für Betroffene von DDR-Zwangsadoptionen

Beraterin:

Cornelia Kurtz

E-Mail: kurtz@uokg

Tel.: 03055779354

Domain: uokg.de

 

* Nachtrag 2022: Die ehemalige Beraterin für Betroffene von DDR-Zwangsadoptionen, Frau Katrin Behr (2010-2021), verabschiedet sich nach 12 Jahren UOKG-Beratertätigkeit. Sie startet ein neues Projekt für erwachsene Adoptierte, welches ihr sehr am Herzen liegt. Näheres erfahren Sie unter der Webseite katrin-behr.com

Dissertation „Zwangsadoptionen in der DDR“

Frau Dr. Marie Luise Warnecke veröffentliche in ihrer Dissertation die von der Clearingstelle eingestuften Fallbeispiele von politisch motivierten „Zwangsadoptionen“.

Die Dissertation „Zwangsadoptionen in der DDR“ wurde im Buch des BWW-Wissenschaftsverlag veröffentlicht, Berlin 2009.

Frau Dr. Warnecke verwies ausdrücklich darauf hin, dass die Fallzahl von der Clearingstelle (6+1) nicht als abschließend dargestellt ist. Sie erweitert die von der Clearingstelle verwandte Definition des Begriffs „Zwangsadoption“ um folgende Merkmale:

  • Nachweisbare gänzliche und dauerhafte Trennung der Kinder von ihrer Familie
  • Fehlender Nachweis eines gegen das Wohl des Kindes gerichtetes, subjektiv zurechenbares Versagen der Eltern in der Vergangenheit (siehe S. 340 der Dissertation).

UOKG-Kongress „Entrückte Biografien – Politisch angeordneter Kindesentzug“

UOKG-Kongress am 7. November 2015 in Berlin.

Hrsg. der Broschüre „Entrückte Biografien – Politisch angeordneter Kindesentzug im Unrechtsstaat DDR“ Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft, erstellt von Katrin Behr, Berlin 2015

 

Ablauf:

11:00 Uhr Eröffnung des Kongresses
11:10 Uhr * Dokumentation über die Suche eines betroffenen Vaters
* ein nachgestelltes Gesprächsprotokoll zwischen einer betroffenen Mutter und einer damaligen Verantwortlichen“
11:45 – 12:15 Uhr Juristische Grundlagen für Rehabilitationen und Defizite bei der Wiedergutmachung des erlittenen DDR-Unrechtes (Benjamin Baumgart, Jurist, Beratungsstelle der UOKG)
12:15  13:00 Uhr Fundstücke über Zwangsadoptionen in der DDR
(Dr. Christian Sachse, Historiker, Politikwissenschaftler, Berlin)
13:00 bis 13:45 Uhr Kaffee – und Imbisspause
13:45 – 14:15 Uhr „Die Arbeit der Clearingstelle Berlin von 1991-1993 und der Zentralen Adoptionsstellen (besonders der neuen Bundesländer) derzeit“ (Kathrin Otto, Leiterin der Zentralen Adoptionsstelle Berlin- Brandenburg)
14:30 – 15:00 Uhr „Umgang mit der Thematik, Unterschiede in der Beratung zwischen leiblichen Eltern und adoptierten Kindern; Ausbau der Zusammenarbeit zwischen Beratungsstelle und Adoptionsvermittlungsstellen; Akten-Herausgabe“ (Katrin Behr: Fachberaterin der UOKG – Bereich -Zwangsadoptionen)
15:45 bis 16:00 Uhr Kaffeepause
16:00 Uhr Traumatische Auslöser und deren Wirkung bis ins jetzige Leben. Therapeutische Erfahrungen zum DDR-Zwangsadoptionen, sowohl mit leiblichen Eltern, als auch mit zwangsadoptierten Kindern und Sicht auf die Adoptiveltern (Dr. Stefan Trobisch-Lütge, Psychotherapeut in der Beratungsstelle Gegenwind)
16:45 bis 17:45 Uhr PODIUM – Abschlussrunde
„Perspektiven für die Aufarbeitung von DDR-Zwangsadoptionen und welche Hilfen sind für die Betroffenen nötig“
Teilnehmer: Dr. Christian Sachse (Historiker, Politikwissenschaftler), Dr. Stefan Trobisch-Lütge (Psychologe, Beratungsstelle „Gegenwind“), Benjamin Baumgart (Jurist, UOKG), Singora-Viola Greiner-Willibald (Zeitzeuge), Andreas Laake (Zeitzeuge), Kathrin Otto (ZABB). Moderation: Peter Grimm (Journalist)
17:45 Resümee

Eine Veranstaltung mit Förderung der Bundesstiftung Aufarbeitung

Anlagen:

Machbarkeitsstudie „Dimension und wissenschaftliche Nachprüfbarkeit politischer Motivation in DDR-Adoptionsverfahren, 1966 bis 1990“

 

Im Frühjahr 2017 gab die damalige Ostbeauftragte der Bundesregierung, die Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke, eine Pilotstudie in Auftrag, in der untersucht werden sollte, ob nach mehr als 30 Jahren Zwangsadoptionen noch nachweisbar sein können. Das Projekt wurde gemeinsam mit dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg initiiert und gefördert.

Die Machbarkeitsstudie startete im Januar 2017 und wurde durch das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) durchgeführt. Die Verfasser der Studie konnten belegen, dass derartige Nachweise möglich sind. Sie nannten die Archive und beschrieben die Forschungsmethoden. Gleichzeitig plädierten die Verfasser dafür, sich den Blick  bei der weiteren Aufarbeitung nicht nur auf die Adoptionsverfahren im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Ersetzen der elterlichen Einwilligung zur Adoption zu beschränken, sondern auch auf familienrechtliche Eingriffe beachten, deren endgültige Trennung von Kind und Eltern aus sachfremden / politisch motivierten Gründen diente.

 

Die Pilotstudie wurde am 26. Februar 2018 fertiggestellt.Ergebnisse der Machbarkeitsstudie 

Seitdem arbeiten verschiedene Gremien des Bundes und der Länder an einem Konzept für eine große Hauptstudie.  

BMI startet Förderaufruf zur Aufarbeitung von DDR-Zwangsadoptionen

 

Diesem Forschungsprojekt (Hauptstudie) geht eine Vor- bzw. Machbarkeitsstudie zu „Dimensionen und wissenschaftliche Nachprüfbarkeit politischer Motivation in DDR-Adoptionsverfahren 1966-1990″ des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) voraus.

 

Das ausgewählte Forschungsvorhaben soll unter anderem

  • die Bedeutung, den Umfang und die historische Dimension der politisch motivierten Adoptionsverfahren erforschen;
  • die Umstände der Zwangsadoption aufarbeiten;
  • die verschiedenen Definitionen des Begriffs der Zwangsadoption noch einmal diskutieren und anhand neuer Quellen überprüfen;
  • den Zusammenhang zwischen politischer Haft, Ausreise oder anderweitiger politisch motivierter Repression gegen die leiblichen Eltern und dem Adoptionsverfahren herstellen;
  • den repressiven Anteil in den Adoptionsverfahren herausarbeiten und
  • dessen Auswirkung auf die Verarbeitung der Trennung bei der Würdigung der Betroffenen von Zwangsadoptionen für eine spätere politische Aufarbeitung beleuchten.

⇒ Förderaufruf 

 

Abgabeantragsfrist: 15.08.2021

Forschungsdauer: 3 Jahre

Förderungssumme: bis zu 1.000.000,00 € (wissenschaftliches Forschungsprojekt)